Festung Fahnen Schleusen
Schloss Esterházy ist von stabilen Grenzen umzogen: Der historisch älteste Wehrbau wurde durch dicke Mauern und einen tiefen Wassergraben geschützt, später umfassten hohe Metallzäune das Areal in einem weiten Bogen, noch heute lässt sich der prachtvolle Innenhof nur durch eine schmale Einfahrt betreten, die gut kontrollierbar und zu verteidigen ist. Wie für solch eine Burganlage typisch, wurde Schloss Esterházy trutzig nach außen und festlich nach innen konzipiert. Auch wenn es für das HERBSTGOLDFestival seine Pforten weit öffnet, löst sich sein Festungscharakter nicht einfach auf. Vielmehr sind vor jedem Konzert diverse Schleusen zu passieren.
Ähnliches gilt für Europa: Auch wenn vor 30 Jahren glücklicherweise der Eiserne Vorhang fiel, der den Kontinent jahrzehntelang als tödliche Grenze durchzog, gibt es nach außen immer noch schwer überwindbare Grenzen. Die beiden Kunstinstallationen, die das diesjährige HERBSTGOLD - Festival begleiten, visualisieren diese Dualität von Festung / Festlichkeit und Schleuse / Portal auf unterschiedliche Weise.
Die Künstlerin Andrea Diefenbach (*1974 in Wiesbaden) hat sich die familiären Auswirkungen der europaweiten Arbeitsmigration angeschaut. Die gezeigten Fotos entstanden auf Reisen der Künstlerin nach Moldawien und Italien. In Moldawien, einer kleinen ehemaligen Sowjetrepublik, die zwischen Rumänien und der Ukraine liegt, wächst laut UNICEF jedes dritte Kind ohne Vater oder Mutter auf. Rund 40 Prozent der erwerbstätigen Eltern leben im Ausland, Mütter oder Väter, oft auch beide Elternteile, die als Erntehelfer oder in der Altenpflege arbeiten, zumeist in Norditalien. In Moldawien lösen sich durch die Arbeitsmigration familiäre Strukturen auf, Kinder werden meist von Verwandten oder Nachbarn aufgezogen. Viele Kinder sehen ihre Eltern monate-, manchmal jahrelang nicht. Die Zeiträume elterlicher Abwesenheit werden mit Skype oder Telefongesprächen überbrückt. In Ihrer Serie „Land ohne Eltern“ hat Andrea Diefenbach diese von Ernst und Einsamkeit geprägten Parallelwelten beidseits der Grenzen nahezu stillgestellt dokumentiert. Präsentiert werden die Einblicke mittels Leuchtdisplays in einer eigenen „Nebenpassage“ im engen Vestibül des Schlosses.
Die skulpturale Installation der ungarischen Künstlerin Sári Ember (*1985 in São Paulo) ist zweigeteilt: Auf den Vorplatz des Schlosses Esterházy hat sie ein hohes Gerüst mit einer steinern dräuenden Wolke aus Gesichtern gestellt. Die Gesichter können als ganz unterschiedliche Gemeinschaften interpretiert werden: als skeptisches Publikum, als vereinte Staatsmacht, als Gruppe von Flüchtlingen. Die Form des Gerüstes changiert zwischen Wachturm und Obelisk, umgeben ist es von flamboyanten Blumen und stacheligen Rosen. In den Innenhof des Schlosses wiederum hat Sári Ember zwei kleinere Gestelle platziert, über denen farbige Fahnen hängen. Auf den Fahnen prangen jedoch nicht, wie üblich, farbige Streifen, mit ihrem Ursprung in militärischen Uniformen, sondern ebenfalls schemenhafte Gesichter. Es sind Fahnen für archaische einzelne: Individuen und Masken zugleich. Im Innenhof flankieren sie den Aufgang zur Feststiege. In den Fokus gerückt wird damit eine eigentümlich ambivalente Materialität von Grenzen: ihre Flaggen und Hoheitszeichen. Üblicherweise sind Fahnen aus leichtem Material und abstraktem Design, luftig und festlich flattern sie gerne im Wind. Zugleich sind sie aber auch ernst und schwer, man sollte mit ihnen keine Scherze treiben. Das könnte nämlich als Angriff auf ein ganzes Land gewertet werden.
Die Installationen von Sári Ember zeigen nun ganz andere Hoheitszeichen: das je eigene Gesicht. Ob als dunkle Wolke vor dem Schloss oder als Banner neben der Feststiege blicken diese aus ihren Augen die Passanten an. Ernst aber meinen auch sie ihren Anspruch.