Sehnsucht nach einem fernen Garten
Das eindeutig größte Kunstwerk in Eisenstadt ist der Schlosspark mit seinen rund 42 Hektar. Die Sehnsucht, die er bebildert, ist aber noch größer. Kunsthistorisch nennt man den Schlosspark einen „Englischen Landschaftsgarten“, die von ihm imaginierte Landschaft liegt jedoch im Süden und weit in der Ferne. Vor unseren Augen realisiert der Garten konkret „Arkadien“: einen legendären Ort des Friedens und des Einklangs mit der Natur. Auf solch unendlich entfernte Sehnsuchtsorte zielen auch die diesjährigen Herbstgold-Kunstprojekte.
Sehnsucht nach einem fernen Garten
Ab 1803 veranlasste Fürst Nikolaus II. die Umgestaltung von Schloss Esterházy und des anschließenden Gartens in ein klassizistisches Gesamtkunstwerk. Auf dem ansteigenden Gelände entstand nach Plänen des Architekten Charles Moreau eine natürlich wirkende Berglandschaft mit einem Rundtempel und einem wilden Wasserfall, mit geschwungenen Wegen und mäandernden Wasserläufen in weiten Wiesenflächen. Typologisch imaginiert der Eisenstädter Park den Glücksort „Arkadien“. Arkadien galt bereits seit dem römischen Dichter Vergil als poetischer Hort einer zeitlosen, friedvollen Hirtenidylle. Dieses entrückte „griechische Hochland“ wollte der Fürst am Hang des Leithagebirges real werden lassen. Errichtet inmitten der politischen und sozialen Umbrüche der Napoleonischen Kriege (1800-1815), die auch vor Wien und Eisenstadt nicht Halt machten, war die Parkanlage nichts weniger als ein direkter Zugang ins Paradies, eine gebaute Weltflucht.
Um sich auf dieses Idyll auszurichten, beabsichtigte man sogar die Struktur des Schlosses komplett umzudrehen: Die Pläne des Architekten Moreau sahen eine prachtvolle Erschließung des Schlosses von der Rückseite vor. Heute zeugen davon noch die beiden umgebauten Nordtürme, ein gewaltiger Säulen-Portikus samt beidseitigen Auffahrten, sowie in der Erdgeschosszone eine „Sala Terrena“ (dt. Gartensaal / ebenerdiger Saal) mit Rundbogen-Arkaden. Solch ein offener Festraum war seit der Barockzeit in Schlössern sehr beliebt. Er ermöglichte einen fließenden Übergang zwischen Innen und Außen. In Eisenstadt wurden diese Arkaden jedoch über die Jahrzehnte allesamt zugemauert, resp. mit einem Glasportal verschlossen.
Das Kunstwerk SALA TERRENA, das anlässlich von HERBSTGOLD 2023 realisiert wurde, lässt die Offenheit dieser Zone wiederaufleben: Neun Laubengänge verbinden nun wieder Schloss und Garten. Auch wenn diese Öffnungen derweil nur grafische sind, so weisen sie doch einen anziehenden Weg. Das ornamentale Vorbild der Künstlerin Anna Artaker sind die perspektivischen trompe l’œuil-Elemente barocker Gartenkunst, die mit hölzernen Treillagen oder Zierspalieren große suggestive Wirkungen erzielten. Ausgeführt ist das Werk in Sgraffito-Technik, einem Kratzputz-Verfahren aus der Renaissancezeit. Das moderne Glasportal in der Mitte wurde entsprechend der perspektivischen Illusion mit bedruckter Spiegelfolie beklebt, die von innen durchsichtig ist. Dadurch ist der große Landschaftsgarten auch vom klassizistischen Schloss-Durchgang (heute Ausstellungraum von „Haydn explosiv“) wieder erlebbar. Ergänzend hat Anna Artaker auch auf der HERBSTGOLD-Bühne einen grafischen Laubengang platziert. Er leitet alle Besucher und Besucherinnen vom Vorplatz unmittelbar zu einem Sehnsuchtsort freier Wahl!
Universelle Sehnsucht
Einen Garten / ein Paradies in weiter Ferne stellt uns auch die zweite HERBSTGOLD-Skulptur vor Augen. Es ist eine Skulptur mit stark wechselnder Erscheinung, fast so ungreifbar wie eine Fata Morgana. Hierfür zum Einsatz kommen die 11 Fahnenmasten, die jahrelang funktionslos den Brunnen am Vorplatz des Schlosses umstanden und 2022 erstmals von Manfred Bockelmann für ein künstlerisches Projekt genutzt wurden.
Das diesjährige Fahnen-Werk stammt vom Wiener Künstlerpaar Claudia Plank & Hans Werner Poschauko, die Eisenstadt bereits um zwei farbprächtige Kunst-am-Bau-Arbeiten bereichert haben: die beiden Fassadengestaltungen „Tanz der Pfirsichblüten“ & „Rebschulweg“. Diese beiden floralen Werke, die permanent in der Bankgasse / beim Hotel Galántha zu sehen sind, wurden von ihnen nun temporär um ein kristallines Sujet ergänzt. Bei gleichmäßigem Ost- oder Westwind ergeben ihre elf Fahnen zusammen den lesbaren Schriftzug UNIVERSELLE SEHNSUCHT über einem rautenförmigen Farbmuster. Ihre Intention beschreiben Plank&Poschauko wie folgt: „Die kristalline Struktur unseres Entwurfs basiert auf Baruch Spinozas philosophischer Schrift Die Ethik, die vom Geiste der Geometrie inspiriert ist. In diesem Werk ist die Hauptaussage, dass Gott die Natur ist und wir alle Teile des Göttlichen sind. Die Sehnsucht nach dem Unendlichen wiederum ist ein Hauptmotiv der Romantik. Wir deuten die unbestimmte Suche als Sehnsucht nach dem All-Umfassenden.“
In diesem Sinne wird wohl auch die Musik des Herbstgold-Festivals von einem fernen Garten künden.